1992 – 2008 Evgeny Gvozdev

Chronik & Tragödie als Dreiakter
Evgeny und „Getan II“ voller Tatendrang
Am 5. Dezember 2008 wurde eine Wasserleiche an der italienischen Küste im Golf von Neapel an den Strand gespült. Recherchen der ita-lienischen Küsten-wache ergaben, dass der Mann schon seit dem 2. Dezember verstorben war und es sich um den russische Seefahrer Evgeny Alexandrovich Gvozdev handeln musste. Die wenigsten konnten sich einen Reim über die Anwesenheit eines russischen Seefahrers zu dieser ungewöhnlichen Jahreszeit machen.
Die Sowjets informierten die Behörden vor Ort mit dem wenigen Wissen das sie selber wussten und später publizierten die örtlichen Medien einen kurzen, unvollständigen Nachruf. Unter anderem war zu lesen, dass sich Evgeny auf seiner dritten Weltumseglung be-funden haben muss.Er war vermutlich wegen schlechter Witterung vom Kurs abgekommen. Schon Tage zuvor war ein „Mikrosegler“ (kleines Segelschiff), die Getan II, stark beschädigt und ohne Mast an der Küste gestrandet. Somit endete die einzigartige Geschichte des charismatischen Weltumseglers.
Bild unten: Die Routen der vollendeten Weltumseglungen
Aber wer war Evgeny Alexandrovich Gvozdev? Mühevoll hat Blue Whale aus dem Internet Fakts zur Person von Evgeny und seinen „Heldentaten“ zusammen getragen.

Zur Person
Evgeny Gvozdev war ein pensionierter Elektromechaniker der seine Ausbildung in der Seehochschule in Astrachan absolvierte und segelte 35 Jahre lang als Schiffsmechaniker auf großen Fischereifahrzeugen im Kaspischen Meer. Erst in den späten 1970er Jahren interessierte er sich für das Segeln.
<<<Evgeny unter-nimmt erste Schläge mit Getan.
Nach zwei Jahren harter Arbeit an „Getan“ unternahm Gvozdev ab Sommer 1979 bis 1982 mit seiner einschaligen 5,5m langen Segelyacht ausgedehnte Törns im Kaspischen Meer. Das Segelvirus hatte ihn gepackt.
Auf seiner Yacht, der selbstgebauten „Getan“ überquerte er als erster Mensch und Russe mehr als 50 Mal das kaspische Meer. Er wurde zum geachteten Pionier mit seinen Einzel- und Sammel-reisen und besuchte alle sowjetischen Häfen der kaspischen See. Nachdem er mehr als viertausend Seemeilen zurückgelegt hatte, entschloss er sich zu einer ersten Weltumseglung. Aber es sollte noch 10 Jahre dauern bis er seinen Traum umsetzen konnte.

1. Akt: Erste Weltumseglung
Am 7. Juli 1992 war es endlich soweit. Evgeny Aleksandrovich Gvozdev machte sich auf den Weg zu seiner ersten Solo-Reise um die Welt. Ohne grossen Aufsehens stach er auf seiner Yacht „Lena“ (Klasse „Micro“, Länge nur 5,5 Meter von Machatschkala in See. Am 19. Juli 1996 wur-de die Reise sicher ab-geschlossen. Damit stellte Gvozdev eine Art Welt-rekord auf – die erste und einzige Reise in der Geschichte der Segelweltreisen, die mit einem gewöhnlichen Vergnügungs Segelboot durchgeführt wurde.

<<< Mit Lena gelang die 1. Weltumseglung
Tatsächlich ist über diese erste Weltum-seglung des Russen Evgeny Gvozdev wenig bekannt. Seinem eher stoischen Charakter folgend, erzählte er nur das Allernotwendigste. Zur Reise soll er gesagt haben; „Ist leider vorbei, war toll, mach ich noch mal!“. Wer seine Reise anzweifelte, dem zeigte er Hafenpapiere, Zoll-Formulare, Zeitungsartikel von den exotischsten Orten dieses Planeten.
Doch Evgeny kam auch mit einer Erkenntnis von dieser Reise zurück: „5,50 m sind für eine Person eindeutig zu lang! Sicheres Segeln ist nur in kleineren Schiffen sicher!“ Zwei Jahre hielt er es zuhause aus, dann war die Idee für die nächste Reise gereift. Sein 3,60 m kurzes Mikroboot war und bleibt wohl der einzige Balkonschiffsbau der Geschichte.

2. Akt: Zweite Weltumseglung
Gvozdev begann seine zweite Weltreise am 17. Mai 1999
wieder von Machatschkala aus, wo er erst das Glasfaser-boot vom Bal-kon seiner Woh-nung hieven musste. Das „Schiffchen“ taufte er „Said“ (arabisch für „Freund“, aber auch „der Glückliche“). Zur Konstruktion meinte er; „Ein Jahr brau-chte ich um das Boot aus einer Mischung aus Fiberglas, Plas-tikabfällen und Holz zu basteln. Ich zog wie ein Obdachloser durch die Straßen und das Industriegebiet der umliegenden Ortschaften und sammelte oder erbettelte Materialien, die mir wichtig erschienen.“
Said auf der Lade-fläche in Macha-tschkala>>>
1999 seilte er das Boot auf die Lade-fläche eines Lasters ab, den ein Freund unter den Balkon rangierte und schließlich ging es wieder zum Kaspischen Meer, für eine 350sm lange Nonstop-Jungfern- und Testfahrt. Deren Ergebnis: „Es kann gleich losgehen!“ 
Nach kurzer Verproviantierung ging es am 17. Mai 1999 los. Die vierjährige Cirkum-Navigation endete am 9. Aug. 2003 in seinem Heimathafen. Seine unzähligen Abenteuer könnten Bücherschränke füllen, werden aber vermutlich nie erzählt werden. Evgeny Gvozdev suchte nie die Öffentlichkeit und dachte nicht daran das erlebte kommerziell auszuschlachten. Er gab zu verstehen, dass er seine zweite Weltumseglung mit nur 150 Dollar in der Bordkasse antrat. Vermutlich ein weiterer Weltrekord.

Schon wenige Tage nach seiner Ankunft plante er seine dritte Weltreise. Die Einwohner von Machatschkala nannten ihren Ehrenbürger „Großväterchen“ und belächelten ihn.

3. Akt: Dritte Weltumseglung
Sein „drittes Projekt“ wollte er wieder mit eigenen Händen bauen und sollte eine Länge von 3 Meter nicht überschreiten, der Grund, so wäre der Bau in einem Zimmer seiner Stadt-wohnung realisierbar. Aber wieder fehlte es an den Geldres-sourcen und so kam dem inzwischen 73 Jährigen Haudegen das Schicksal zur Hilfe. Im Sommer 2007 eröffnet ein Bewunderer dass er seine Jacht für die nächste Seereise auslehnen würde. Der Perspektive, nächstes Jahr erneut die Segel setzten zu können, konnte Evgeny nicht widerstehen.
Das neue Boot heißt «Getan II». Es handelt sich um eine leicht modernisierte Version des Kunststoff-Produktions Yachttyps «Ricochet 555», dessen Größe der von «Lena» ähnelte. Leider war es notwendig, den Mast (auf 6 m) zu kürzen, weil im oberen Teil Mikrorisse gefunden wurden. Um keine Zeit zu verlieren, beschloss Evgeny, mit diesem Stumpf und dem alten Segelsatz zu starten, in der Hoffnung, den Mast bereits in Gibraltar zu ersetzen. Dort könnte er sich in aller Ruhe für die nächste Etappe und Route entscheiden.
Der Start musste wegen zu rauem Wetters um eine Woche verschoben werden und so konnte die dritte Reise um die Welt erst am 19. Sept. 2008 beginnen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten im Roten Meer kommt „Getan II“ auf Touren und befand sich am 20. Oktober bereits auf dem Weg nach Athen, am 7. November – im Ionischen Meer – und am 16. November passiert sie die Straße von Messina. Die nächsten Anlaufstellen auf dem Weg nach Gibraltar hätten natürlich Sardinien oder Korsika sein sollen, aber um zu diesen Inseln zu gelangen, war Evgeny Gvozdev «nicht mehr» vergönnt. Seltene Kommunikationssitzungen mit Freunden im fernen Dagestan haben uns eine tragische Chronik seiner letzten Segeltage bewahrt.

Chronik einer Tragödie
Ab dem Morgen des 29.November stösst die Jacht auf einen heftigen Sturm mit Wellen von bis zu 6m höhe. „Getan II“ muss beidrehen und Evgeny berichtet das sie sich um die eigene Achse gedreht hat. Weiter berichtet er: „Die meisten Reserven, einschließlich Frischwasser und Treibstoff, wurden über Bord weggespült. Der Mast wurde zusammen mit dem Mastfuss herausgerissen und gebrochen.“
Ohne Mast schafft Alexandrovich die „Nussschale“ aufzustel-len und zu stabilisieren. Am Abend ist der Wind etwas ruhiger und die Wellen sind auf «nur 2-3» Meter geschrumpft, aber immer noch für einen Mikrosegler gigantisch.

30. November vermeldet Evgeny das das schlimmste über-standen sei, in welche Bucht er getrieben wurde wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht. Er ankere nun in Ufernähe und ver-suche die Jolle wieder seetüchtig zu kriegen. Wasser musste aus dem Boot geschöpft werden, das Leck an Deck musste verschlossen und ein temporärer Mast errichtet werden. Laut Prognose sollte eine Wetterberuhigung mit sonnigen Abschnit-ten für die nächsten Tage zu erwarten sein.
Evgeny gibt die Koordinaten seines Ankerplatzes an: 41°38’18“N und 12°24’56E. Sie waren das letzte Lebens-zeichen was seine Freunde erhielten.
Am 1. Dezember, zur festgesetzten Zeit, meldete sich Gvoz-dev nicht. Anfangs wurde dem nicht viel Bedeutung beige-messen, da er zu beschäftigt mit Reparaturen war. Als sich das Schweigen verzögerte, begannen Verwandte und Freunde unabhängig nach dessen Verbleib zu suchen. Die erste Nach-richt vernahmen sie am 2. Dezember als die Küstenwache ein Segelboot an einem der noblen Strände von Ostia, Rom, ge-funden hat.
Am 5. Dezember fand man eine Leiche in der Nähe der ge-strandeten Jacht und das Regionalblatt „Il Messagero“ ver-suchte die beschädigte Yacht mit dem Körper eines unbe-kannten grauhaarigen Mannes in Verbindung zu bringen. Es dauerte aber bis zum 8. Dezember 2008 bis man Gewissheit hatte, dass Jewgeni Alexandrowitsch Gwosdew seine dritte Weltreise nicht beenden konnte …

Ein Held und seine Jachten
Mit Gewissheit kann die These aufgestellt werden, dass jedem westlichen Segelpionier die Taten mit diesen „Nussschalen“ oder Mikrojachten zu Weltruhm gelangt hätten.
Gehen wir davon aus, dass alle Leser mit der Baugrössen von Segelyachten vertraut sind und die Verhältnisse abschätzen können. Ich kenn keinen der sich jemals auf eine Weltreise mit einer solch Nuss-Schale (Mikrojacht) wagen würden. Blue Whale sträubt sich bei dem Gedanken das laufende Gut, mir die Nackenhaare! Lena hätte platz in ihrer Heckkabine.

Decksicht der Mikrojacht „Said“ in voller Montur

 

Nachwort: Das Vermächtnis
Jewgeni Alexandrowitsch Gwosdew hinterließ keine Bücher, nur Tagebucheinträge und Briefe. Er verfolgte keine Rekorde, strebte nicht nach Ruhm und glaubte aufrichtig, dass auf einer normalen Yacht jeder echte Seemann ohne Probleme die Welt umsegeln könne. Mit Hilfe eines „kleinen Bootes“, mit guter Vorbereitung und etwas Glück sei dies möglich. Bewiesen hat er’s, sogar Zweimal hat er es geschafft, aber beim dritten Mal blieb es ihm verwehrt. Was für eine schicksalhafte Tragödie!
Er war Zeit-lebens davon überzeugt, die Erde sei ein geheimnisvolles Paradies und es gäbe nach wie vor viel zu ent-decken, zu er-forschen und später darüber zu erzählen. Mit seinen Reisen wollte er seinen Wissensdurst und den Drang nach Freiheit stillen. Das war ihm als Russe hinter dem Eisernen Vorhang lange versagt gewesen.
Auch wurden seine Abenteuer nicht in Memoiren festgehalten und so bleibt uns nur das wenige Wissen übrig um seiner Heldentaten und seiner exzentrischen Persönlichkeit zu gedenken.
Evgeny Aleksandrovich Gvozdew war ein aussergewöhnlicher Seemann mit achtenswerten Fähigkeiten. Er war ein „fast“ vergessener Held und Haudegen, aber bestimmt kein Hasardeur. 

P.S. Leider sind die mit „grün“ markierten Links wegen des Ukraine Konfliktes nicht mehr verfügbar! Die Zensur des russischen Internets greift anscheinend (unverständlich) auch für diesen Bereich.

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