Hasardeure des Atlantik

(rev. 16.08.2022)

IRRSINN oder WAHNSINN?

Welcher Begriff (Zustand) trifft auf einen Hasardeur zu? „Stark beeinträchtigter Geisteszustand“ für Irrsinn oder „Psychische Störung, die von Wahn begleitet wird“ für Wahnsinn“? Nein, so
einfach ist die Antwort nicht, denn das Gegenteil eines Hasardeurs wird mit Angsthase & Feigling bezeichnet. Interessant wird es, wenn das Gegenteil von Feigling gegoogelt wird. Da erscheint auf dem Bildschirm Haudegen, Adrenalinjunkie, Superheld und Hasar-deur wie auch Draufgänger und Teufelskerl.
Die Hasardeure träumen wohl eher von den „positiven“ Synony-men. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie wollen aus dem Alltag ausbrechen und sich auf die Suche nach der ganz großen Freiheit begeben.
In der Segelszene und den sozialen Medien tauchen auch abschätzende Bezeichnungen für Hasardeure auf; Fakir der See, Survival-Guru, Trans-atlantik Masochist, Steinzeit Segler, Sailing Freak und vieles mehr.
Mit keinem Wort wird Irrsinnige(r), Wahnsinnige(r), Lebensmüde(r) oder Verrückte(r) erwähnt (beachte die Genderkonformen Bezeichnungen!), denn Grundgenommen sind sie das, was die folgenden Geschichten nachweisen werden.

Der Begriff HASARDEUR

Wikipedia charakterisiert den Hasardeur wie folgt;
Der Hasardeur gilt als ein Draufgänger mit wenig Verant-wortungsbewusstsein. Er liebt das Risiko als Selbstzweck und ist nicht bestrebt, Werte über das Risiko hinaus zu verwirk-lichen.
Er ist ein Glücksspieler, der das waghalsige Abenteuer zu seiner Lebensmaxime macht und dabei wenig Rücksicht auf eigenes und fremdes Leben nimmt.
Hasardeure finden sich in so unterschiedlichen Lebensbe-reichen wie dem Glücksspiel, im Finanz- und Bankenwesen, in der Politik, beim Militär oder im Extremsport. Diktatoren, aber auch geldgierige Manager, reißen bisweilen ihre Völker oder Firmen mit dieser Charaktereigen-schaft in den Ruin. Der Strudel unüberlegten, von Ehrgeiz, Geld- oder Machtgier getriebenen gefährlichen Handelns,
endet meist in Chaos, Staats- und Firmen-pleiten und der Ver-nichtung vieler Existenzen.
Wahrlich „starker Tobak“ der uns im alltäglich geregelten Lebensdasein nicht bewusst wird.

Historische Boots-Reisen
Mehr als 80 «große Schläge in kleinen Booten» über den Atlantik, den Pazifik oder die Tasmanische See wurden bis heute dokumentiert. Vom kommoden 20-Fuß-Pionier im Jahre 1876 bis zum 1,64m messenden «Schuhkarton» 1992 wurde allein auf dem Nordatlantik viele faszinierende «Geschichten der kurzen Boote» gelebt. Aus naheliegenden Gründen segelten die Protagonisten
meist allein und verarbei-teten ihre extreme physi-sche und psychische Be-lastung nach dem Törn in Büchern oder bei Vor-tragsreisen, aber auch bei einem weiteren Kurztrip der gleichen oder anderen Art!
Fünf erklärte Mikrosegler ließen bei ihren Abenteuern auf See ihr Leben. Zwei Boote wurden – intakt – ohne Skipper an Land gespült, andere verschwanden spurlos auf Nimmerwiedersehen in den Weltmeeren.
Nachstehend eine kleine Auswahl von „Hasardeuren“, die zu Ihrer Zeit die Schlagzeilen dominierten;

1870 Die erste offizielle „Ost-West-Atlantiküberquerung in einem „kleinen Boot“ schafften der Amerikaner Buckley und der Österreicher Primorac. Sie brauchten in einem offenen(!) 6-Meter-Dinghi 84 Tagen von Cork (IRL) nach Boston (USA).
1880/81 segelten die Briten Norman und Thomas in einem 4,90-Meter-Boot gleich zwei Mal die Atlantik-Route – mit einem Jahr Landgang dazwischen. Ihre Abfahrt wurde von 30.000 Menschen gefeiert.
1892 besiegte William Andrews in einem 3,90 m kurzen Boot den „grossen Teich“, nachdem er vier Jahre zuvor gescheitert war.
1939 driftete Harry Young in 39 Tagen von New York zu den Azoren auf einer ebenfalls 3,90 Meter kurzen, offenen Sloop.
1963 segelt Fran Dye (s. Bild links) die 4,90 Meter kurze „Wayfarer“ von Schottland nach Island.
Ab 1965 schipperte Robin Leen Graham als 16 jähriger, bis dahin jüngste Person überhaupt, in mehreren Jahren und Etappen auf einem 6-Meter-Boot um die Welt.
Hugo Vihlen segelte 1968 auf der „Aprilscherz“, einer 1,83 m-Sperrholzkiste, von Casablanca nach Miami.
Erst 1982 wird dieser „Kürze-Rekord“ gebro-chen: Tom McNally (s. Bild rechts) braucht nur 1,64 m LüWl, um mit seinem an ein Rettung-sboot erinnernden Gefährt auf die andere Seite des Atlantiks zu gelangen.
Tom McLean trieb 1982 auf seiner „Giltspur“ (2,97 m) von West nach Ost über den Atlantik.
1982 strandete die 2,72 m kurze „God’s Tear“ von Wayne Dickinson kurz vor Erreichen des Ziels an der irischen Küste. Der Segler wird von einem Leuchtturmwärter gerettet.
Ab 1983 benötigte der französischstämmige Australier Testa 500 Tage um mit einer selbstgebauten ALU-Yacht von 3,60 Metern Kürze die Welt zu umsegeln.
Im gleichen Jahr 1983 sägt Tom McLean (s. Bild oben) spektakulär mit der Kettensäge ein Stück seiner „Giltspur“ ab und segelt mit dem reduzierten, 2,41 m kurzen Teil über den Nordatlantik. Bericht über Tom McClean siehe auch Webseite „Blue Whale’s Schwesterschiff?
Im gleichen Jahr 1983 nimmt ihm Tom McNally mit seinem 2,06 m kurzen Gefährt den Rekord wieder ab.
1993 setzt Hugo Vihlen (der Aprilscherzbold von 1968) mit seiner „Vatertag“ einen Atlantik-Nordroutenrekord, der bis heute gültig ist: 1,63 Meter reduziert auf ein Maximum!

Hasardeure mit höheren Zielen
Dieser Spoiler möchte die Hasardeure ehren, die im Grunde genommen keine waren und auf Ihre Art Geschichte schrie-ben, weil sie einem höheren Ziel gedient haben. Die Berichte umspannen das Geschehen der Jahre 1956 bis 2018. Leider sprengen die „Laudatio“ den Rahmen dieser Web-Seite und so mussten die Beiträge in separaten Links abgelegt werden (mit Klick auf die Jahreszahl öffnet sich der Beitrag). Blue Whale empfiehlt die Links als Schlechtwetter-Lektüre, wenn es denn ein Schlechtwetter für Salzbuckel überhaupt gibt.
Die Liste der ausgewählten Protagonisten
1956 Hannes Lindemann
1968 Hugo Vihlen (1993 & 2008 weitere Abenteuer)
1979 Gerry Spiess (1981 Pazifikabenteuer)
1988 Rüdiger Nehberg (2001 neues Abenteuer)
1992 Evgeny Gvozdev
2011 Sven Yrvind
2017 Matthew Kent
2018 Jean-Jacques Savin

Hinweise
– Matthew Kent habe ich nur mit einem Kurzbericht gewürdigt, weil es bis heute beim Versuch geblieben ist und später gar verboten wurde. Er ist der Inbegriff des Hasardeurs!

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