Mann über Bord (MOB)

(rev. 21.05.2020)

Das Horror-Szenario seegängiger Schiffe „MOB“

Der Kapitän fragt den neuen Matrosen:
„Sie wollen anheuern? Können Sie den überhaupt schwimmen?“

„Nein, aber in 23 Sprachen um Hilfe rufen.“
In diesem Beitrag sollen nicht die umstrittenen Segelmanöver eines „MOB“ (Mann über Bord) erläutert, sondern auf das Horror-Szenario als solches eingegangen werden.
Spätestens seit Erscheinen von Robert Louis Stevensons Roman «Die Schatzinsel», in dem Vizekapitän Arrows auf hoher See nächtlich von Bord der «Hispaniola» verschwindet, halten sich ähnliche Zwischen-fälle hartnäckig in den Schlag-zeilen (siehe dazu Spoiler „Schlagzeilen über POB“).
Sogenannte Segelunfälle, bei denen jemand angeblich von einer großen Welle weggespült wird, sind ein effizientes Mittel, um ungeliebte Ehefrauen, natürlich auch Ehemänner, aufdringliche Rivalen oder aufsässige Gläubiger auf elegante Weise loszuwerden (siehe Link zu Adria-Seeunfall). Dies hat unweigerlich auch bei modernen Kreuzfahrten Einzug gehalten wo Seeunfälle weniger auf Witterungseinflüsse zurück zu führen sind. Fachleute emp-fehlen, reisen so zu buchen, dass sicherheitshalber abgelegene und vorzugsweise haifischreiche Gewässer auf der Cruise ange-steuert werden.

Die HMS Hispagnola

Nun kommt es hin und wieder auch vor, dass jemand unbe-absichtigt über Bord geht, sei
es, weil er tat-sächlich von hoher See überrascht wird, sei es, weil er im Gedenken an Admiral Nelson dem Rum zu stark zugesprochen hat. In einem solchen Fall gelangt dann das soge-nannte «Mann über Bord»-Manöver zur Ausführung. Im Zeichen seglerischer Emanzipation der Frauen und in Einhaltung der „Political Correctness“ möchte Blue Whale auf den ersten Spoiler „WAS IST EIGENTLICH POB“ hinweisen.

1 Was ist eigentlich POB?
Die Modernisierung hat uns auch in der Seefahrt allgegen-wärtig. Die Seefahrtsbibel „Seemanschaft“, welche aus einer über tausendjährigen Tradition geschnitzt wurde, musste mit dem „Yacht-Knigge“ für „Verhaltensgestörte“ Schiffer-Egozentriker ergänzt werden. So war absehbar, dass infolge des Gender-Mainstreaming auch vor dem eingebürgerten Warnruf “Mann über Bord“ (MOB) nicht halt gemacht werden würde. Seit Urzeiten Bestandteil der traditionellen Seefahrt musste dieser Ausruf in „Person über Bord“ (POB) umbenannt werden. Welch ein Graus für Salzbuckel und Seebären! Pardon, auch diese Titel bedürfen zum Leidwesen ihrer Adressaten der Überarbeitung.  Unschwer zu erkennen, dass die retuschierte Bildbeilage unseres Patrons der Meere „Neptun“, im Gender-Look etwas lächerlich wirkt. Diese geschändete Karikatur-Darstellung „übermannte“ Blue Whale mit einem Anfall von Seekrankheit.
Für die seglerische Laien unter den Lesern: Das Kunststück des POB-Manövers besteht darin, Wind und Geschwindigkeit des Segelbootes so genau einzuschätzen, dass das Rettungsschiff tatsächlich unmittelbar neben dem im Wasser Schwimmenden anhält. Es darf nicht in voller Fahrt am Verunglückten vorbeirauschen und auch nicht zehn Meter vor ihm, im Gegenwind stehen bleiben, oder Gott behüte, überfahren werden. Eine Handbremse gehört nicht zum Rüstzeug einer Jacht. Die Bergung nötigt zur Eile, denn die fatale Auskühlungsgefahr des über Bord gegangenen ist der Leitwert eines MOB-Manövers; Deadline sind gleich viele Minuten, wie die Wassertemperatur in Grad jeweils ist! Regeln ohne Ausnahme gibt’s nicht, folglich der nächste Spoiler „SCHLAGZEILEN ZU POB“.
2 Schlagzeilen über POB resp. MOB
Ein Ehepaar auf hoher See in ihrer Yacht. Sturm. Sie fällt über Bord und schreit „Mausi, den Ring, Mausi, den Ring!! Er wirft ihr seinen Ehering nach und sagt:“ Stimmt, den brauch ich auch nicht mehr…“ Jedes Jahr verschwinden bis zu 20 Menschen auf Kreuzfahrt-schiffen, nicht nur durch Unfälle. Die Reeder erklären zwar, dass ein Teil der Vermisstenfälle auf Suizide zurückzuführen sei. In den anderen Fällen sei das Resultat unglücklicher Unfälle, oft als Folge von Alkoholmissbrauch. Besorgniserregend ist jedoch, dass es in rund 30 Prozent aller Fälle keinen Anhaltspunkt gibt, was mit den Passagieren geschehen sein könnte. So der letzte „prominente“ Fall des D. Küblböck, der im Jahr 2018, während einer Kreuzfahrt über Bord ging. Seit dem fehlt jede Spur von ihm. Vermutlich kein Gewaltopfer eines Abhorrers.
Ein Strafrechtler geht sogar so weit, das Kreuzfahrtgeschäft als „ein Eldorado für Mordgetriebene“ zu beschreiben. Nachstehend drei MOB-Ereignisse, die einen glücklichen Ausgang nahmen und dieser These entgegnen;

Person geht über Bord und überlebt fast 24 h im Meer vor Kuba (01. Juli 2018 Nau.ch)
Grosses Glück für einen Mann in der karibischen See vor Kuba. Der 33-Jährige Matrose des Kreuzfahrtschiffes „Norwegian Getaway“ wurde über 30 Kilometer vor der Küste nach auf-wendiger Suche gefunden.

Britin überlebt nach Sturz von Kreuzfahrt-schiff zehn Stunden in der Adria (20.08.2018 dx.com)
Singen und Yoga-Fitness haben der Frau laut eigenen Angaben das Leben gerettet, nachdem sie von Bord gegangen war. Ein Schiff der kroatischen Kriegsmarine konnte die Frau schließlich unversehrt bergen.

42-Jähriger wird aus See geholt und entert Boot des Retters (23. Juli 2019 Tagesanzeiger.ch)
Nachdem ein Mann aus dem Zürichsee gerettet worden war, stieß er seinen Helfer von dessen Schiff und fuhr davon. Dann prallte er in andere Boote. Auch der verdutzte Bootseigner konnte schlussendlich gerettet werden.

Blue Whale hat sich mit dieser Thematik schon mal auseinandergesetzt und zwar im Bericht; „Überleben dank Jeans“! Mit Mausklick öffnet sich der Bericht.

3 Einhandsegler & MOB
Praktisch alle MOB Szenarien decken Varianten von Cruising mit Crew’s ab, seien diese Kreuzfahrer oder Yachten. Selbst bei einer großen Crew sind die Chancen, wieder lebend an Bord zu kommen, minimal. Die Solosegler kommen da etwas kurz, verständlich, das beim „Gau-Happening“ mit tödlicher Sicherheit „Game Over“ sein wird. Ausnahme, du bist auf einem Teich unterwegs resp. du bist wegen einem Ausweich Manöver auf einem überfüllten Seegebiet über Bord gegangen. Wenn der „worst case“ den Solosegler doch ereilen soll, sind die Möglichkeiten und Hilfsmittel sehr bescheiden.
Dazu ein paar Tipps;

  • Das Cockpit auf offener See nicht verlassen.
  • Life-Leine tragen
  • achteraus schwimmende Leine installieren, natürlich nur bei geringer Bootsgeschwindigkeit tauglich.
  • Autopilot mit körpergetragener Fernsteuerung gekoppelt, sofern vorhanden, d.h. das Ruder wird quer gelegt resp. „Schuss in den Wind“ erfolgt bei abbrechen des Funkkontaktes.
  • PLB-Gerät (Personal Location Beacon) am Körper tragen, erleichtert die Ortung resp. Bergung

Die Schwimmweste ist umstritten seit die Seglerikone Eric Tabarly erklärte; „Ich trage keine Weste weil ich nach dem über Bord gehen nicht länger als notwendig leiden möchte!“
Es muss nicht das Extrem des Einhandseglers Conrad Colman sein, der an der Vendee Globe über Bord ging und Glück hatte. Diese gilt als härteste Einhandregatta der Welt. Es kann auch ein Kurztörn auf einem Binnen-See sein, wo die Verkettung unglücklicher Umstände zum Super Gau des Einhandseglers führen.

Zum Gedenken an die vielen auf See verschollenen Persön-lichkeiten und Legenden des Einhandsegeln, widmet Blue Whale den Spoiler 4.

4 Verschollene Legenden
Viele berühmte Persönlichkeiten und Legenden des Segel-sportes haben ihre Leidenschaft mit dem Leben bezahlt und gelten auf See als verschollen. Die näheren Umstände bleiben für immer ungelüftet. Nicht nur Regatten durch gefährliche Seegebiete fordern ihren Tribut. Verwunderlich ist, obschon dort mehrheitlich Profis am Werk sind, beste Ausrüstungen zur Verfügung haben und die Retter „Gewehr bei Fuss“ stehen, fordert die See regelmässig ihre Opfer.
Als berühmte Ausnahme und Ikone des America‘s Cup zählte Sir Peter Blake, der im Dezember 2001 an Brasiliens Küste als Umweltschützer unterwegs, überfallen und ermordet wurde.

Ein Vers von Jules Verne soll uns nachdenklich stimmen;

Die Ahnengalerie der Legenden nach Ereignisjahren gelistet; (mit Mausklick auf Namen öffnet sich ein Link)

1909 Joshua Slocum
Gilt als erster Einhandsegler der eine Weltumrundung vollbrachte. Der kanadisch-amerikanische Seefahrer verschwand mit seinem Boot auf einer Expedition nach Südamerika.

1913 Rudolf Diesel
Der deutsche Ingenieur und Erfinder des Diesel-Motors wurde zuletzt am 29. Sept. 1913 an Bord eines Fährschiffes auf dem Ärmelkanal gesehen.

1928 Franz Romer
Verschwand bei dem Versuch, als Erster mit einem Faltboot den Atlantik zu überqueren.

1961 David Kenyon Webster
Der amerikanische Schriftsteller, Journalist und Soldat fuhr am 9. September 1961 vor die Küste von Santa Monica (Kalifornien) und verschwand.

1975 Bas Jan Ader
Der niederländische Performance-Künstler verschwand im Juli 1975 mit seinem Segelboot Ocean Wave beim Versuch einer künstlerisch motivierten Atlantik-Überquerung. Sein Boot wurde etwa 10 Monate später an der irischen Küste angeschwemmt, er selbst oder Hinweise auf sein Schicksal wurden jedoch nie gefunden.

1978 Alain Colas
Alain Colas war ein französischer Skipper und wurde als Teilnehmer der Einhandregatta „Route du Rhum“ bekannt. Er war auch der Erste, der mit einem Mehrrumpfboot erfolgreich die Erde umsegelte. Er kam auf See vor der Küste der Azoren um.

1978 Eddie Aikau
Der hawaiianische Lifeguard und Surfer gilt seit dem 17. März als verschollen auf See. Er war Crewmitglied des Forschungs-schiffs Hōkūleʻa, das an jenem Tag kenterte. Aikau versuchte Hilfe zu holen und paddelte ohne Rettungsweste mit seinem Surfbrett Richtung Lānaʻi. Er wurde nie wieder gesehen. Der Rest der Crew wurde gerettet.

1979 Agamemnon Despopoulos
Der US-amerikanische Physiologe stach am 2. Nov. in Bizerta (Tunesien) auf seiner Segelyacht Cybele in See, um mit seiner Frau Sarah Jones-Despopoulos den Atlantik zu überqueren. Das Ehepaar gilt seitdem als vermisst.

1992 Nigel Burgess
Teilnehmer des traditionellen Vendèè Globe Race (früher Golden Globe Race) genannt verschwand in der ersten Nacht vor Biskaya.

1997 Gerry Roufs
Er war ein kanadischer Profi-Rennsegler, der während der Einhandregatta Vendée Globe 1996/97 im Südpolarmeer verschwand.

1998 Éric Tabarly
Gilt als einer der herausragender Hochseesegler und innova-tivsten Konstrukteure von Regattayachten des 20. Jahrhun-derts. Tabarlys Segelyachten trugen den Namen Pen Duick. Éric Tabarly lehnte es stets ab, sich an Bord zu sichern. 1998 sollte ihn dies das Leben kosten, als er bei einer Nachtfahrt in der Irischen See über Bord ging.

2007 Jim Gray
Der Informatiker verschwand mitsamt seinem Boot in der Nähe von San Francisco im Pazifischen Ozean.

2018 John Fisher
Der Teilnehmer des Ocean Volvo Race ist in einem Sturm, rund tausendzweihundert Seemeilen westlich der südame-rikanischen Küste, von Deck gespült worden. Trotz sofort eingeleiteter Suchoperation konnte der englische Segler nicht aufgefunden werden und gilt als verschollen.


Ein Zitat zum Abschluss
Der legendäre US-Präsident John F. Kennedy (1917-1963) der ein enthusiastischer Segler war, hat im Rahmen der be-rühmtesten Segelregatta der Welt, dem America’s Cup, in einer Rede nachstehendes bemerkt:
„Wir sind mit dem Ozean verbunden. Und wenn wir zum Meer zurückkehren, egal ob wir segeln oder es nur beobachten, dann gehen wir dahin zurück, wo wir einst hergekommen sind.“

<Back to Maritimes Kaleidoskop>     <Back to Glossar>